Mit Schweizer Patent in die Wasserstoff-­Zukunft

Kompakte Wasserstoff-Tankstelle

Mit Schweizer Patent in die Wasserstoff-­Zukunft

19. September 2024 agvs-upsa.ch – Bislang hiess es für Brennstoffzellen-Fahrzeuge: Warten, bis in der Nähe eine Wasserstoff-Tankstelle entsteht. Messer Schweiz aus Lenzburg AG löst dies mit einer kleinen, lautlosen H2-Tankstelle, die sogar im Wohnquartier stehen kann. So können bald auch Klein­gewerbler H2-Tankstellen bauen. Rainer Klose


Messer-Schweiz-Chef Hans Michael Kellner präsentiert den Prototyp der lautlosen Wasserstoff-Tankstelle für Industrie und Flotten und vielleicht bald auch Garagen. Fotos: AGVS-Medien (2), Messer Schweiz (1)

Die Weltpremiere findet im kleinen Kreis statt: Ein Dutzend Menschen stehen in einer versteckt gelegenen Industrieanlage im Süden von Lenzburg AG – eine Handvoll Journalisten, ein paar lokale Unternehmer, die Aargauer Nationalrätin Maya Bally und Dieter Egli, Regierungsrat und Vorsteher des Departements Volkswirtschaft des Kantons Aargau, sowie Daniel Mosimann, der Stadtammann von Lenzburg. Die Messer Schweiz AG, ein Spezialist für Industriegase, hat hierher eingeladen. «Auf das, was Sie jetzt gleich sehen werden, sind wir sehr stolz», sagt Hans Michael Kellner, der Firmenchef. «Wir haben jahrelang entwickelt, konstruiert und behördliche Genehmigungen eingeholt.» Dann gibt er einem Mitarbeiter einen Wink. Dieser klinkt einen dünnen Schlauch aus einem blank polierten Edelstahlcontainer aus, schliesst ihn an einen roten Gabelstapler an und drückt einen Knopf. Andächtiges Schweigen. Die Umstehenden hören – nichts. 

Dieses «Nichts» ist die Sensation an diesem Tag. Denn während Zuschauerinnen und Zuschauer staunen, wird der Gabelstapler mit Wasserstoff (H2) bei 350 Atmosphären Druck betankt. Der Arbeitsdruck ist ohne jede Mechanik entstanden, ohne übliche Kompressoren, Elektromotoren, Kolben und bewegliche Teile. Denn bis anhin waren Wasserstoff-Tankstellen immer grosse, laute Anlagen, die weitab von Wohngebäuden stehen mussten; wegen der Lärmemissionen, wegen Vibrationen im Boden und wegen des Explosionsschutzes. Das gilt nun nicht mehr. 


Gäste aus Politik und Behörden bei der Weltpremiere: Daniel Mosimann (Stadtammann Lenzburg), Dieter Egli ­(Regierungsrat Aargau) und Maya Bally (Nationalrätin) mit Hans Michael Kellner von Messer Schweiz (v.l.n.r.).

Flüsterleise tanken in der Nacht
Hinter dem kleinen roten Gabelstapler steht ein gewaltiges gelbes Postauto mit Brennstoffzellen-Antrieb. Auch dieses Postauto kann hier, am kleinen, silbernen Container der Messer Schweiz AG, Wasserstoff tanken. Genauso gut könnte der Container an jeder beliebigen Endhaltestelle stehen. Ein Chauffeur könnte mitten in der Nacht in 15 Minuten den Bus mit frischem Treibstoff füllen. Und niemand würde davon wach. Konstruiert haben diese flüsterleise Tankstelle Experten der Firma GRZ Technologies SA aus Avenches VD. Die Firma, die von Forschenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule EPFL in Lausanne VD gegründet worden ist, hat sich auf Wasserstoffspeicherung in Metallhydriden spezialisiert. Dabei werden Wasserstoffatome inmitten eines Metallblocks eingelagert – in den Lücken der Kristallstruktur zwischen den Metallatomen. «Man muss sich das vorstellen wie einen trockenen Schwamm, der Wasser aufsaugt», erläutert Roland Grabler, einer der GRZ-Ingenieure. «Der Metallblock verändert sich dabei nicht und hält das H2 fest, bis wir es wieder brauchen.» 


Einziges Abgas ist Wasserdampf: Seit diesem Jahr setzt die Postauto AG in der Region Brugg AG nach einem ersten Feldversuch erneut einen Brennstoffzellen-Bus ein, um Erfahrungen mit der Wasserstoff-Mobilität zu sammeln.

Je nach Zusammensetzung des verwendeten Metalls können die GRZ-Speicher entweder maximale Mengen von Wasserstoff aufnehmen und festhalten oder besonders gut verdichten. Sie saugen Wasserstoff bei geringem Druck an und geben ihn mit 350 bar ab. Die Prototyp-Tankstelle in Lenzburg ist zum Verdichten optimiert. Beim Einfüllen des Wasserstoffs in die Tankstelle entsteht Wärme, die einfach an die Umgebungsluft abgegeben wird. Zum Auspusten des Wasserstoffs muss der Speicher nur erwärmt werden. Das kann auf verschiedene Art geschehen, entweder durch Strom aus einer Fotovoltaik-Anlage oder durch Abwärme aus einem Industrieprozess oder einem Kamin. «Wir brauchen nicht viel», sagt Messer-Schweiz-Geschäftsführer Kellner, «rund 160 Grad Celsius genügen.» Abwärme in dieser Grösse fällt bei vielen Industriebetrieben an – gratis. «So können wir grünen Wasserstoff in Busse und LKW füllen und brauchen dafür noch nicht mal Strom.» 


Immer mehr Unternehmen setzen E-Gabelstapler mit Brennstoffzelle statt batterieelektrischem Antrieb ein. Für einen grossen Industriebetrieb mit Staplern wie diesem von Linde wäre die H2-Tankstelle dann eine Lösung.

Patentierte Schweizer Erfindung
Nun wird langsam klar, was die kleine Weltpremiere im Industriegebiet südlich von Lenzburg zu bedeuten hat. Die Messer Schweiz AG in Lenzburg begann 1911 mit der Produktion von Sauerstoff und stellt seit 1955 selbst Wasserstoff her. Das Traditionsunternehmen gehört seit 2003 zur global tätigen Messer SE & Co. KG aA mit Hauptsitz in Deutschland. Gemeinsam mit GRZ-Technologies, die den Speicher entwickelt und weltweit patentiert haben, steht nun der Messer-Gruppe der Weltmarkt für lautlose Tankanlagen offen. Mehr noch: Mit Fotovoltaik auf dem Dach liesse sich der Wasserstoff für die kleine Tankstelle künftig sogar selbst erzeugen. Dazu braucht es zusätzlich noch einen Elektrolyseur, der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet.


Bislang wird Wasserstoff mit solchen Tankfahrzeugen angeliefert. In Zukunft könnte er aus eigenem Solarstrom auch vor Ort entstehen und direkt ins Auto getankt werden.

«Wirtschaftlicher Umweltschutz»
Nicht ohne Stolz erläutert der Firmenchef: «Wir haben unseren Prototyp bereits weiterent­wickelt.» Eine weitere Version steckt in einem handelsüblichen Seecontainer und kann aufgestellt werden, wo Wasserstoff und Wärme verfügbar sind. «Unsere Anlage braucht kein besonderes Fundament, kein schallgeschütztes Gebäude, auch der teure Service der Kompressoren fällt weg», sagt Kellner, «so können unsere Kunden preisgünstiger eine Wasserstofftankstelle bauen, als es bisher möglich war.» In der Anfangszeit möchte Kellner vor allem Industrie- und Grosskunden durch die Preisvorteile gewinnen. «Wir nennen dies wirtschaftlichen Umweltschutz», sagt er. Später werden mit der gleichen Technologie auch kleine Wasserstoff-Tankstellen entstehen. Flottenkunden wie beispielsweise die Postauto AG, grössere Unternehmen oder auch eine grosse Garage müssen also nun nicht mehr zwingend warten, bis die Infrastruktur der Wasserstoff-Tankstellen (derzeit schweizweit 17) wächst, um beim Einsatz von Wasserstoff als einziges Abgas nur Wasserdampf zu erzeugen und grün in die Zukunft zu fahren.
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